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Wildwasser

Archiv 2009

 

Expedition ins Ungewisse – Schwabenkanute Fabian Dörfler in Sibirien

Kajakexpedition nach Russland – das hörte sich von Anfang an sportlich an. Wohin genau? An den Baikal. OK, der liegt da ganz weit im Osten in Richtung China, genauer gesagt an der Grenze zur Mongolei. Das Klima sollte im Juni, Juli angenehm sein. Unser Zielflughafen sollte Irkutsk sein, also eine recht große Stadt mit allem was dazugehört. Na ja, das wird dann vielleicht doch gar nicht so wild und abgelegen…

Weit gefehlt! Unsere Expedition ins Ungewisse, wie sie Olaf im Voraus getauft hatte, machte ihrem Namen alle Ehre. Mit dabei waren Olaf Obsommer (Nussdorf), Florian Dillier (Schweiz), Jared Meehan

(Neuseeland), Tomass Marnics (Lettland) und Sascha aus Irkutsk. Tomass war 2008 schon mal in der Gegend unterwegs und hatte sich einen Fahrplan für unsere dreiwöchige Tour ausgedacht. Wir Übrigen hatten darüber recht wenig erfahren, also ließen wir uns zwangsläufig überraschen.

Los ging es schon mal bei der Einreise in Moskau, als ich kurzfristig ein neues Visum gebraucht habe, weil bei mir das falsche Datum eingetragen war. Ein paar Stunden und 20 Euro später ging es aber weiter nach Irkutsk. Bei insgesamt 8 Stunden Zeitverschiebung war am nächsten Tag nach der Pressekonferenz hauptsächlich schlafen angesagt. Abends sollte es eigentlich nur gemütlich zum Essen gehen. Gut, man hätte sich eigentlich denken können, worauf das hinauslaufen sollte. Wenn es nach unseren Russischen Freunden gegangen wäre, wären es wahrscheinlich noch mehr als nur fünf Flaschen geworden. Am Mittwoch wurde dann wieder viel geschlafen, diesmal im Auto. Entlang der Grenze zur Mongolei ging es ins Sayan-Gebirge.

 Wir kamen dann zu einem Punkt an dem die Straße für ein normales Auto nicht mehr befahrbar wurde und wir luden unsere Kajaks auf einen russischen Armee Truck. Wir selbst nahmen ebenfalls auf der Ladefläche Platz. Nach ein paar Stunden hielten wir an und stellten unser Camp auf. Am nächsten Morgen regnete es leider so sehr, dass unser Fahrer meinte, der Weg über den vor uns liegenden Pass sei so aufgeweicht, dass wir da nicht durchkommen. Er holte also einen anderen Truck, der wohl noch geländetauglicher sein sollte. Nach der Nachricht habe ich mich in meinem Schlafsack unter unserem Tarp erst noch

 mal umgedreht. Wir mussten die Zeit ja sowieso irgendwie totschlagen. Ich träume gerade irgendetwas, als Tomass ruft: „Fabian, are you alive? Wake up, it’s winter.“ Bitte was? Winter? Ich mach die Augen auf und es liegen gut 10 cm Neuschnee. Na, Spitze! Wir hatten uns ja mehr auf ne Mückenplage bei 30 Grad eingestellt. Zum Glück boten uns die Jäger, die den LKW fuhren, eine Hütte mit Kamin an. Am nächsten Tag ging es dann bei kräftigem Schneetreiben auf der Ladefläche eines uralten Ungetüms von LKW über den Pass. Die mannshohen Räder waren dabei zum Teil bis zur Hälfte im Schlamm eingegraben. Dass es ansonsten über weite Strecken einfach durchs Flussbett ging, war eigentlich ganz normal. Wir kamen dann an einem weiteren Camp an. Dort suchen Russische Geologen nach Gold und bauen außerdem große Mengen Jade ab. Dort mussten wir noch zwei Nächte in einem Container ausharren, bevor es endlich wärmer wurde und wir endlich lospaddeln konnten. Der Schnee blieb von nun an zum Glück aus. Insgesamt konnten wir uns wirklich glücklich schätzen, dass wir immer dann ein festes Dach und einen Kamin gefunden haben, wenn das Wetter besonders schlecht war.

Garly Gol – unser erster Fluss war direkt eine Erst Befahrung. Die erste Hälfte des Flusses war flach und steinig, bis wir an eine Dreier-Wasserfall-Kombination kamen. Drei Mal etwa 7 Meter: Der erste drehte sich etwas seltsam ein, der zweite ging auf eine Steinplatte, der dritte war sauber. Man hätte sie vielleicht fahren sollen, aber nach einer Woche Schnee wollte niemand etwas riskieren, mit Gepäck im Boot schon gar nicht. Auch das Gepäck umtragen war keine Option. Wir wollten erst mal ein paar Kilometer hinter uns bringen, schließlich hatten wir schon ein paar Tage verloren. Der untere Teil des Flusses war recht amüsant. Wir umtrugen noch einen weiteren Wasserfall, bei dem die Chance recht groß war, hinter dem Vorhang wieder aufzutauchen. Dann hatten wir endlich die Mündung in den Kitoy erreicht. Dort campten wir auf eine Kiesbank.

Der Kitoy war der große Fluss, der uns wieder nach Hause bringen sollte. Er hat etwa die Größenordnung des Inns, allerdings war das Wasser selbst bei Hochwasser glasklar bis grünlich, anstatt sandgrau. Mit den Booten voller Gepäck muss man auch erst mal zurechtkommen. Da steigt der Nervenkitzel recht schnell wenn man seinen ganzen Hausstand mit sich führt, man aber nicht sieht, wo die Wassermassen vor einem nach der Abrisskante hin fließen.

Die Kernstelle in der Kitoy-Schlucht konnten wir leider auch nicht befahren. Der Wasserstand war so massiv hoch, dass das kleinste Risiko einer gepoppten Spritzdecke schon zu groß war. Wenn der 7-Meter-Drop und die restlichen riesigen Walzen nichts ausgemacht hätten, dann hätte sicher die Siphon am Ende noch zugeschlagen. Jegliche Art Sicherung hätten wir sowieso nicht aufbauen können. Die Wände der Schlucht waren schließlich mindestens 50 Meter hoch und senkrecht. Leicht enttäuscht umtrugen wir die Schlucht am nächsten Tag, weil der Wasserstand nicht zurückging. Zum Glück wartete aber schon das nächste Highlight auf uns. Der 14 Meter hohe Wasserfall des Eche Gol hing Jahre lang als Poster in meinem Zimmer und ich freute mich schon darauf, seitdem mir Olaf von der Expedition berichtet hatte. Die Einfahrt zum Wasserfall geht ums Eck und ist etwas knifflig. Dafür kommt einem der Wasserfall aber nicht besonders hoch vor, weil man eigentlich nie eine Abrisskante sieht. Man kommt nur ums Eck, wirft das Paddel weg und rollt wieder hoch. Unten im Pool ist sehr viel Platz und es kann nichts passieren. Flo hat leider sein Paddel zerbrochen, weil er es unbedingt festhalten wollte, aber sonst ging alles glatt.

Dann war paddelmäßig Halbzeit, aber die Strapazen sollten erst noch kommen. nach ein paar Kilometern auf dem Kitoy kamen wir an den Shumak. Wir wollten ungefähr 8 km die Boote hoch tragen und dann ohne Boote 15 km weiter flussauf zu einem Camp, an dem wir etwas zu essen kaufen konnten. Alle zwei, drei Stunden hieß es „nur noch drei oder vier Kilometer…“ Scheiß Running Gag! Es war die Hölle. Erst mal war es ziemlich gewöhnungsbedürftig das Kajak mit Gepäck auf dem Rücken zu balancieren und dann ging es ja schließlich noch über Stock und Stein, sowie unter umgefallenen Bäumen hindurch. Wahrscheinlich waren es 12 km mit und 20 km ohne Boote. Nach drei Tagen kamen wir jedenfalls an den heißen Quallen des Shumak an, wo uns

die Familie und Freunde von Tomass schon erwarteten. Sie machten eine zweiwöchige Wandertour und hatten gleichzeitig dort ihren Zwischenstopp geplant. Dort gibt es unzählige Quellen auf engem Raum, die alle für einen bestimmten Zweck gut sein sollen. Wenn man trotz des merkwürdigen Geschmacks alle probiert hat, dürfte man eigentlich nie mehr krank werden. Der Fluss selbst war dann leider ziemlich enttäuschend. Gefälle und Wassermenge hielten sich in Grenzen, also lagen unsere Hoffnungen von nun an auf dem nächsten Seitenfluss, dem Beluty. Der Beluty war zwar keine Erst Befahrung, aber das hatte insofern den Vorteil, dass wir von Tomass wussten, dass wir dort auf unsere Kosten kommen würden. Der Wasserstand passte und es waren diesmal nur 6 km Fußmarsch. Es gab einen gut 10 Meter hohen Eingangswasserfall, ein paar kleinere andere Hüpfer und eine Doppelstufe aus 2 Meter Drop, ein Meter Walze und noch mal 5 Meter Drop. Das ganze natürlich bei kristallklarem Wasser.

Es folgten noch die restlichen 80 km auf dem Kitoy, ehe wir nach 16 Tagen wieder von einem Van abgeholt wurden. Wir sollten uns darauf einstellen, dass die 150 km bis Irkutsk etwa 3 Stunden dauern sollten. Letztendlich waren es 6 Stunden. Ich weiß nicht ob der Fahrer einen Führerschein hatte, aber offensichtlich hatte er ein Problem mit den Augen, weil er es zum Beispiel nicht für nötig hielt abzubremsen wenn eine 20 cm dicke Wurzel unseren Weg kreuzte. Das gebrochene Dachfenster fiel Olaf ins Genick und auch sonst war die Fahrt Angst einflößender als alle Wasserfälle, Walzen, Wildschweine und Zecken in den zwei Wochen zuvor.

Ich bin dann direkt am Freitagmorgen nach Hause geflogen, während die Übrigen noch ein paar Tage am Baikalsee verbrachten. Auf mich wartete zu Hause schließlich einiges an Uni und Training. Nach drei Wochen Auszeit fernab jeglicher Zivilisation gab es da einiges nachzuholen. Nicht dass es keinen Spaß gemacht hätte. Ich möchte die Erfahrung auf keinen Fall missen. Aber ich war wirklich froh als ich in Moskau wieder im Flieger saß, der mich nach München zurück brachte. Wenn man sich vorstellt, dass im kompletten Inntal nur ein Wanderweg und ein Hotel wäre, dass man zudem nur zu Fuß oder mit dem Hubschrauber erreichen kann, alle Seitentäler sowieso mit eingeschlossen, dann hat man ungefähr ein Bild von der Landschaft und der Zivilisation im Sayan-Gebirge.

 

10.08.2009